Buchbesprechungen
Der uns fremdeste Lebensraum?
Müller, Thorolf & Gerd Hoffmann-Wiek (2020): Tiefsee – Vielfalt in der Dunkelheit. – Senckenberg-Buch 83, E. Schweizerbart‘sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 204 S., 177 Abbildungen; ISBN 978-3-510-61415-8; 17,90 €
Das hier besprochene Buch nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Tiefsee, jene immer noch (zumindest im Verhältnis zu anderen Lebensräumen) unbekannte Welt. Eine Menge zu entdecken gibt es jedenfalls – die teils fabelhaft anmutenden Wesen werden im mit vielen Bildern aufgelockerten Werk von Müller und Hoffmann-Wiek vorgestellt, und ganz zeitgemäß werden auch Probleme aufgezeigt, die deutlich publiker gemacht werden müssten.
Die Erforschung dieser für uns so unzugänglichen Welt begann vor gut 150 Jahren – zu einer Zeit, als die Menschen glaubten, die Tiefsee sei unbewohnt. Eine Anekdote zeigt, wie überrascht man gewesen sein musste, dass dem gar nicht so ist: 1860 wurde im Mittelmeer ein defektes Kabel aus der Tiefe gehoben, das repariert werden sollte. Daran hatten sich Lebewesen angesiedelt – der Forschungsdrang war geweckt. 1898 stieg Deutschland mit der Valdivia-Expedition in dieses Forschungsfeld ein. Auch heute kennen wir den Lebensraum erst bruchstückhaft, trotzdem sollten wir ihn schützen.
Leben gibt es bis in eine Tiefe von 11.000 m, ab 1.000 m liegt alles in ewiger Dunkelheit. Und je tiefer es geht, desto kälter wird es: von +4 °C bis -1 °C. Vor allem aber der hohe Wasserdruck ist eine große Herausforderung an die Anpassungsfähigkeit der Organismen. Bei den extremen Bedingungen leben dort z. B. Tiefsee-Anglerfische (Ceratioidei), Pelikan-Aale (Eurypharynx pelecanoides) und Fangzahn (Anoplogaster cornuta), um nur wenige der im Buch Erwähnten zu nennen.
Hartes Substrat (Felsen, Schalen und Manganknollen) macht prozentual den weitaus geringeren Anteil an der Gesamtmenge des Untergrundes aus, und mit 85 % dominiert weiches Substrat (feinkörniger Grund aus Verwitterungen und Überresten von Organismen). Schwämme, Korallen und Muscheln siedeln sich auf den harten Untergründen an. Schnecken, Muscheln und Stachelhäuter bewohnen die weichen Böden.
Vulkanisch aktive Bereiche mit schwarzen und anderen Rauchern bilden Hotspots für Lebewesen. Genannt werden etwa die im Golf von Mexiko 2003 entdeckten Asphaltablagerungen. Auch auf diesen Asphaltmatten haben sich Mikroben angesiedelt.
Selbst an den Manganknollen gibt es Leben, dort siedeln sich verschiedene Krebstiere wie die dreigliedrigen Eichelwürmer, Borstenwürmer und Wasserbären an. Erläutert werden auch die Gefahren des Tiefseebergbaus: Beim Abbau der Manganknollen wird deren Umgebung zerstört, beim Transport an die Oberfläche entstehen Schäden durch „Abfälle“, die wieder nach unten sinken (und dann da landen, wo andere Lebewesen sitzen und siedeln).
In den großen Tiefen sind die Sichtverhältnisse schlecht, manche Tiere erzeugen selber Licht, andere verständigen sich mit Geräuschen. Wo Leben ist, wird auch gestorben, anschaulich beschrieben an einem Wal, dessen Überreste in der Tiefe als Nahrung für die verschiedensten anderen Lebewesen herhalten; je nach Art der Zersetzung sind etwa spezielle Aasfresser, Schwefelliebhaber sowie Knochenfresser beteiligt.
Das Team von Senckenberg und Geomar hat ein spannendes Buch geschrieben, trotz der Fülle an Informationen ist es gut und verständlich zu lesen. Meine Neugierde am Thema „Tiefsee“ ist gewachsen.
Elfriede Ehlers
Harnischwelse en masse
Schäfer, Frank (2020): Alle LDA-Nummern – Bookazine Nr. 9. – Aqualog animalbook, Rodgau, 192 S., Softcover; ISBN 978-3-939759; ca. 14,90 € (D), 15,40 € (A)
Zum Jubiläum des Aqualog-Verlages (25 Jahre) dürfen sich Welsfans freuen: Das aktuelle Bookazine setzt den absoluten Schwerpunkt auf die mit dem bekannten Codesystem versehenen Harnischwelse. Frank Schäfer erzählt zunächst aus persönlicher Sicht, wie die Loricariiden den Verlag geprägt haben – es begann 1995 mit der Vorstellung aller bis dahin bekannten Nummern im ersten Aqualog-Buch, viele dürften sich daran erinnern. Das Buch war aus meiner Sicht auch ein Ausgleich für die Tatsache, dass die Tiere für mich als 13-Jährigen fast unerreichbar (teuer) waren. Ein echtes Schnäppchen gelang mir damals immerhin – in der Aquaristikabteilung einer Baumarktkette ließ ich mir einen Hypancistrus zebra eintüten, der 30 DM kosten sollte, allerdings vergaß der Angestellte, auf dem Beutel die Null hinter der Drei zu notieren. Seither hatte ich jedenfalls keinen vergleichbar lukrativen Baumarktbesuch mehr …
Zu den L-Nummern kamen ab 1992 die LDA-Nummern des Bornheimer Schmettkamp-Verlages, die (was gewissen Vorlieben eines ehemaligen Münchener Importeurs geschuldet war) „sich zunächst aus von der DATZ abgelehnten Manuskripten rekrutierten, dann aber ebenfalls zum Selbstläufer wurden“ (Zitat Schäfer). Da der Bedarf in der Aquaristik-Gemeinde so groß war, kam es zur Publikation des oben genannten Klassikers, der Rest ist Geschichte.
Die Katalogisierung der L- sowie der LDA-Nummern bei Aqualog hat eine wichtige Rolle gespielt, denn seien wir ehrlich – bei der Fülle an monatsweisen Vorstellungen, über mehrere Jahrzehnte hinweg, geht dann doch etwas der Überblick verloren. Dem Wunsch nach Letzterem kommt Frank Schäfer zusammen mit Erwin Schraml im neuen Bookazine nun hinsichtlich der über die Jahre publizierten LDA-Nummern entgegen – und gibt auf annährend 150 (!) Seiten eine vollständige Übersicht.
Für Aquarianer, die das Bookazine bisher nicht kennen, sei erwähnt – das Ganze ist mehr als opulent bebildert. Die Vorstellung der einzelnen Arten (jeweils inklusive mehrerer Abbildungen) beinhaltet Angaben zu Synonymen (also auch Doppelvorstellungen in Das Aquarium und DATZ), der Herkunft, bekannten Maximallängen, ähnlichen Arten, mit denen Verwechslungen geschehen können, sowie Informationen zu Haltung und Vermehrung. Am Anfang werden alle LDA-Nummern außerdem noch in Form von Farbtafeln direkt beieinander präsentiert, was äußerst übersichtlich ist. Eine runde Sache, gespickt mit Hintergründigem (z. B. der absurden Situation um die einstmals häufig gehaltene, putzige Art Parotocinclus jumbo, LDA 25) und faszinierenden Raritäten, über die kaum etwas bekannt ist (etwa LDA 120, eine wunderschöne, unbeschriebene Loricaria-Art).
Im Terraristikteil wird eine hierzulande wenige bekannte, schöne Gelenkschildkröte (Kinixys spekii) vorgestellt, und abschließend kommt ein Beitrag über Muschelblumen. Tolle Gehirnnahrung für trübe Tage und natürlich ein Muss für alle Wels-Närrischen!
Sebastian Wolf
Über alte Bekannte im neuen Gewand
Fritz, Uwe (2020): Medaka: Japanische Reisfische. – E-Book; ASIN B08C8XP5CQ; 3,99 €
Die vielen Farbvarianten des genügsamen Japanischen Reisfisches (Oryzias latipes) haben sich ja ein klein wenig zur Mode der letzten Jahre gemausert. Ob man nun Farbmutationen mag oder nicht (es gäbe die Art ja – wenn auch deutlich seltener erhältlich – noch in ihrer Wildform): Es ist heutzutage durchaus etwas Besonderes, wenn bei neuen Trends in der Aquaristik mal nicht Zubehör, Gestaltungstechniken oder Garnelenhybriden im Mittelpunkt stehen. An praxisorientierten, aktuellen deutschsprachigen Büchern zu dieser Art mangelte es bisher aber völlig. Es wurde also Zeit!
Der Autor hat sich der kleinen Oberflächenschwimmer in seinem selber herausgegebenen E-Book (eine gedruckte Version gibt es nicht) angenommen. Die erste Überraschung bereits im Vorwort, wo es sehr direkt und ehrlich heißt: „Bilder werden Sie hier übrigens nicht finden, mein kleines Buch kann mit der Flut von Bildern und Filmen auf Instagram oder Youtube einfach nicht mithalten. Suchen Sie dort einfach mal nach „Medaka Ricefish“, Sie werden überrascht sein“. Ich mag mich täuschen, aber ein bisschen klingt das nach „weniger soll mehr sein“.
Ein (selber verfasstes) Buch braucht auch gar nicht zwingend den Anspruch, mit der Informationsflut im Netz mitzuhalten, dafür sind die Verhältnisse sowieso völlig verschoben. Vielleicht kann es sich heute aber auch als schwer erweisen, vor allem Neueinsteiger ohne visuelle Beigabe zu erreichen – und auch an sie dürfte sich diese Veröffentlichung richten. Zumal sich Medakas auch grundsätzlich dazu eignen, im Freien von oben fotografiert zu werden. Diverse Schwierigkeiten des Fotografierens durch eine Glasscheibe entfallen somit.
Zum Inhalt: Uwe Fritz gibt einleitend einen historischen Überblick über die Geschichte der gar nicht mehr jungen Medaka-Kultur in Japan, die ohne die Vorliebe, kleine Gefäße mit Wasser zu füllen und ansprechend zu bepflanzen, so vermutlich nicht entstanden wäre. Er erläutert, welchen Einfluss die Veränderung der Reisanbau-Methoden auf die wildlebenden Bestände hat und widmet dann vier (teils ganz knappe) Kapitel denjenigen Exemplaren, die als Testorganismus in höhere Sphären gelangten, nämlich auf die ISS. Auf die Ansprüche an die Umwelt, die Biologie sowie Vererbungsregeln wird direkt nachfolgend eingegangen. Ich finde es generell kein leichtes Unterfangen, in populärwissenschaftlichen Werken so knapp wie möglich, aber so präzise wie nötig derart komplexe Sachverhalte wiederzugeben – ganz sicher wären aber spätestens hier Grafiken und andere visuelle Mittel wirklich eine gute Sache (gewesen).
Zwei Kapitel werden der Vielfalt der Varianten gewidmet. Beide sind – in Anbetracht der auch hierzulande erhältlichen Fische – bedauerlicherweise viel zu knapp ausgefallen (das Kapitel „Zuchtformen“ listet vier Varianten, zwei davon für Abweichungen in der Morphologie, die zwei anderen den Panda- und den Albinovarianten; „Farbvererbung“ gibt eine Zusammenfassung der Untersuchungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts, als man die Mendel’schen Regeln an Medaka bestätigt sah; namentlich genannt werden hier weiße und goldene Medaka).
Sehr gut gelungen ist der zweite Buchabschnitt, in dem wirklich umfassend alle Aspekte rund um die Medakahaltung und -zucht besprochen werden – hier sollte jeder etwas mitnehmen an Erkenntnis. Sowohl die Aquarien- als auch die Freilandhaltung werden ausreichend gewürdigt, es wird begründet, warum man eigentlich nicht viel Technik braucht oder besser ganz darauf verzichten sollte, die Bedeutung natürlicher Sonneneinstrahlung findet Erwähnung, das Für und Wider der diversen Kunstfuttersorten wird geschildert, und auch die Ideen zu Vergesellschaftungsmöglichkeiten sind vielleicht anders als erwartet, aber interessant zu lesen.
Auch treffend platziert ist das Kapitel „Folgen der Hochzucht“, bei dem es darum geht, was eigentlich mit den ganzen Nachkommen geschieht (bzw. geschehen kann), die nicht dem Ziel des Züchters entsprechen. Das knappe Kapitel „Auswahl der Elterntiere“ mag als Hilfe für Neueinsteiger dienen. Und – Killifisch-Aquarianer machen es seit Langem vor – auch der Versand von Eiern bekommt seinen Platz. Der Praxisteil ist also eine „runde Sache“.
Abgeschlossen wird das Buch durch einen Exkurs („Zuchtanlagen für Labore“) und einen Anhang mit einer Handvoll Verweisen auf Internetseiten – sowie der Anmerkung, dass aufgrund der Kurzlebigkeit vieler Online-Quellen auf die Angabe eben dieser verzichtet wurde. Kann man so machen – mich hat das nicht ganz überzeugt.
Fazit: Der Praxisteil ist ein absoluter Pluspunkt des Buches, und auf ihn kommt es auch an – jedenfalls was die vermutliche Zielgruppe betrifft. Schwierig einzuordnen ist die erste Buchhälfte mit ihren vielen (Kleinst-)Kapiteln, einer mehr als groben Übersicht über die Varianten und diversen sprachlichen Schnitzern und Stilblüten (mein Favorit – Kapitel „Schwerelosigkeit“ – ist der Satz „Mit den Rücktransporten zur Erde wurden präparierte Medaka aus der ISS zurück transportiert, die mit präparierten Medaka aus der Kontrollgruppe verglichen wurden.“). Auch wenn dies den Wert des guten praktischen Buchabschnittes nicht schmälern soll: Da hätte weniger vielleicht wirklich mehr sein können.
Sebastian Wolf
Die frühe aquaristische Laufbahn des Axolotls
Reiß, Christian (2020): Der Axolotl – Ein Labortier im Heimaquarium 1864–1914. – Wallstein Verlag, Göttingen, 304 S., eine Reihe von s/w Zeichnungen; ISBN 978-3-8353-3306-2; 29,90 € (D); 30,80 € (A)
Der Autor legt das gekürzte Ergebnis seiner preisgekrönten Doktorarbeit vor. Er untersuchte die Geschichte der im 19. Jahrhundert zum ersten Mal mit wenigen Exemplaren nach Europa eingeführten Axolotl (Ambystoma mexicanum). Als Historiker und Kulturwissenschaftler blickt er dabei auf diese Amphibienart und die Menschen, die sich mit der Haltung beschäftigen und als Forscherinnen und Forscher die Axolotl als Untersuchungsobjekt entdeckten. Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Aquarium“ zieht sich dabei wie ein roter Faden durch das gesamte Buch.
Das erste Kapitel bietet eine spannende Einführung in die Geschichte der Haltung von Organismen in Aquarien. In Kapitel zwei stehen dann die ersten 34 Axolotl im Mittelpunkt, die 1864 lebend Paris erreichten. Sie waren ein Teil der Objekte, die eine französische Expedition aus Mexiko mitbrachte. Die Reaktion in der Öffentlichkeit wird beleuchtet, und es gibt einen Exkurs zu den Diskussionen über die von Alexander von Humboldt Anfang des 19. Jahrhunderts mitgebrachten Axolotl-Präparate. Im Mittelpunkt stand das Problem der Einordnung dieser seltsamen Organismen in einer Zeit der intensiven Entwicklung der Biologie als Wissenschaft.
In Kapitel drei befasst sich der Verfasser ausführlich mit der Betrachtung der Geschichte der Nutzung von Aquarien. Er nennt sie „künstliche Naturräume“ und dokumentiert vielfältig die Frühzeit der Vivaristik. In Kapitel vier stehen dann die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Mittelpunkt. Nachdem schon kurz nach dem Beginn der Haltung der Axolotl im Aquarium die Eiablage stattfand, begann die Erforschung der Metamorphose der Tiere. Die Leserinnen und Leser lernen dabei die Entwicklungsforscher Albert Kölliker, Marie von Chauvin und August Weisman kennen. Sie repräsentieren mit ihren Ansätzen die Ideengeschichte der frühen Entwicklungsbiologie und den Streit um die Evolutionstheorie.
In Kapitel fünf stehen dann wieder Aquarien im Mittelpunkt der Betrachtung. Diesmal wird die Rolle von Aquarien als methodisches Hilfsmittel der Lebenswissenschaften diskutiert. In Fallstudien zu den Aquarienanlagen an den Universitäten Leipzig, Würzburg, Freiburg und Kiel wird die Bedeutung der Haltung von Organismen in künstlichen aquatischen Naturräumen im späten 19. Jahrhundert deutlich. Selten findet man in der einschlägigen Literatur so fundierte Hinweise zur Bedeutung der Aquarienkunde für die Wissenschaft. In den Kapiteln sechs und sieben wird dann die Verbreitung der Axolotl in ganz Europa beschrieben, ein einmaliges Beispiel zur ersten Ausbreitungswelle eines heute in der biologischen und biomedizinischen Forschung unverzichtbaren Labortieres.
Zusammenfassend kann der Kauf des Buches jeder Aquarianerin und jedem Aquarianer unbedingt empfohlen werden. Die Studie bietet einen einmaligen Blick auf das Verhältnis von Vivarianern zu den von ihnen als Heimtieren favorisierten Arten. Und sie reflektiert die Vivaristik als Massenbewegung des 19. und des 20. Jahrhunderts. Man erfährt auch eine Menge über den Axolotl, eine in vielen Aspekten einzigartige Tierart. Fast ausgestorben im natürlichen Lebensraum und trotzdem weltweit verbreitet – dank der Aquaristik!
Hans-Peter Ziemek
Skurrile Tarnkünstler für die einen, kleine Teufel für die anderen
Gehring, Philip-Sebastian (2020): Plattschwanzgeckos – Die Gattung Uroplatus. – Edition Chimaira, Frankfurt am Main, 383 S., Hardcover; ISBN 978-3-89973-348-8; 49,80 €
Sehnsüchtig wurde es erwartet, jetzt ist es da – in der Edition Chimaira ist die Monographie über Madagaskars Plattschwanzgeckos erschienen. Das Buch ist sowohl in einer deutsch- als auch in einer englischsprachigen Ausgabe verfügbar, was dem Interessentenkreis ganz sicher gerecht wird. Und umfangreich ist es geworden. Dies spiegelt den Erfahrungsschatz des Autors aus wissenschaftlicher und terraristischer Sicht wider, ist aber auch Zeugnis dafür, wie groß der akademische Wissenszuwachs über die Gattung während der letzten Jahre war. Besonders in taxonomischer Hinsicht: Denn im vergangenen Jahrzehnt wurden gleich sechs kleiner bleibende Arten neu aufgestellt, dies entspricht knapp 50 % der davor beschriebenen Artenzahl – die erste Spezies wurde wohlgemerkt bereits 1797 beschrieben.
Die Gattung fasziniert mit ihrer Gestalt und dem Tarnmuster, der langsam schleichenden Fortbewegung und den großen, oft auffällig gefärbten Augen gleichermaßen. Auch mich hat sie bereits zu Schulzeiten in ihren Bann gezogen. Meine erste Reise nach Madagaskar war vor allem dem Wunsch geschuldet, die possierlichen Gespenst-Plattschwanzgeckos (Uroplatus phantasticus), die ich damals schon einige Zeit hielt und vermehrte, in ihrem Lebensraum sehen zu können. Als völlig ahnungs- und argloser Rucksack-Tourist ging es dann erstmals auf den Inselstaat, in politisch mal wieder etwas unruhigen Zeiten … Uroplatus gehörten auch später immer zu den Highlights nächtlicher Exkursionen; in besonderer Erinnerung sind mir besonders die Vielfalt der Gattung im Marojejy-Nationalpark (gleich vier Arten in unmittelbarer Nähe zueinander, von finger- bis unterarmlang) und die Populationsdichte auf der kleinen Insel Noy Mangabe (zwar nur eine Art, aber dafür gefühlt auf jedem zweiten Stamm lauernd).
Philip-Sebastian Gehring hat nun seine Erfahrung in der Pflege und Vermehrung sowie seine eigenen Freilandbeobachtungen und aktuelle Erkenntnisse aus verschiedenen Fachdisziplinen in einem Buch untergebracht, das sich bei aller Fülle an Informationen sehr gut und verständlich liest. Das geballte Wissen ist gegliedert in einen allgemeinen Teil, einen über Haltung und Nachzucht sowie einen dritten, speziellen Teil, der sich nicht nur aus jeweils ausführlichen Artenporträts aller beschriebenen und als gültig anerkannten Arten zusammensetzt, sondern in dem auch sogenannte Kandidatenarten vorgestellt werden, also noch formal unbeschriebene Formen.
Schon der erste Abschnitt ist äußerst informativ, denn wo in manch anderem Werk nur kurz die obligatorischen Fakten heruntergenudelt werden, legt der Autor hier viel Wert darauf, ganz verschiedenen Aspekte zu behandeln. Besonders gut gefallen mir (u. a.) die Unterkapitel „Wie wird eine neue Art beschrieben?“ (was sich wohl insbesondere an interessierte Nicht-Wissenschaftler richtet), „Plattschwanzgeckos im Volksglauben“ (Madagassen begegnen diesen Geckos teils mit großem Argwohn und Angst), „Gefährdung und Schutz“ (mit kritischer Betrachtung des Handels in den vergangenen Jahrzehnten und insbesondere der möglicherweise falschen Deklarierung mancher nur kleinräumig verbreiteter Arten) sowie „Platzschwanzgeckos im Freiland beobachten“ (inklusive Hinweisen zu Örtlichkeiten mit guter Erfolgsaussicht).
Für jeden, der sich für Haltung und Vermehrung interessiert, ist das praktische Kapitel obligatorisch – Uroplatus ist ein tolles Beispiel, wie ein Wissenszuwachs (verstärkt durch die Unterschutzstellung der Gattung und damit stark zurückgegangene Exporte?) auch bei Taxa mit speziellen Ansprüchen zu immer besseren Erfolgen in der Vivaristik führt. Der Autor bietet hier die bestmögliche Übersicht. Und beileibe keine Selbstverständlichkeit in so manch anderer Monographie sind diverse Tipps, etwa zum Transport neu erworbener Tiere, oder die Anregung, dass bei der Seltenheit vieler Arten eine gute Vernetzung und idealerweise eine Zuchtgemeinschaft wünschenswert wären.
Eine Ergänzung zum Teil „Terrarientechnik“: Die Anwendung von Lampen mit UV-B Anteil könnte nicht nur über die Anbringung von Leuchtmitteln über jedem Terrarium gelöst werden. In der Erhaltungszucht, beispielsweise auch von Amphibien, bedient man sich einer anderen Methode, über die man die Tiere in regelmäßigen, aber nicht täglichen Abständen in separaten Behältnissen einer entsprechenden Lichtzufuhr unter einer externen UV-Lampe aussetzt. Dafür würde nur ein langlebiges Leuchtmittel benötigt, der regelmäßige Austausch von Leuchtstoff- oder Energiesparlampen mit UV-B Anteil über jedem Terrarium würde entfallen. Zudem lässt sich über das Addieren der Betriebszeiten ziemlich genau ermitteln, wann die Lebensdauer der Lampe überschritten ist (bei der Ultra Vitalux wird diese beispielsweise angegeben). Sofern die Tiere auf einem dem Terrarium entnehmbaren Gegenstand ruhen (eingetopfte Pflanze, nicht fixierter Ast), sollten das Umsetzen und die Bestrahlung bei eingewöhnten Exemplaren keinen Stressfaktor darstellen.
Die Artporträts sind besonders auf eine gute „Bedienbarkeit“ ausgelegt; neben den deutschen sowie den englischen Trivialnamen und einer Verbreitungskarte ist hier zudem relevante Literatur genannt, das vereinfacht die Recherche. Wert gelegt wird auch auf die Abgrenzung zu ähnlichen Spezies; das ist – nach der Beschreibung neuer Arten – von großer Bedeutung. Zusätzlich zu den allgemeingültigen Angaben im vorherigen Buchteil wird außerdem gezielt auf die Bedürfnisse der einzelnen Arten bei Pflege und Vermehrung eingegangen. Zum Ende jedes Artkapitels folgt der gegenwärtige Schutzstatus.
Wer Uroplaten schon länger kennt, aber nicht jede taxonomische Neuerung genau verfolgt hat, wird sicher überrascht sein über die ganzen „neuen“ Spezies aus der U.-ebenaui-Gruppe mit den exotischen Artnamen, quasi eine zeitgemäße, sprachliche Würdigung der Herkunft der Tiere und der am Auffinden der Arten beteiligten Personen. Es ist mittlerweile nämlich nicht so unüblich, sich in Neubeschreibungen bei der Schaffung eines Artepithetons der jeweiligen Landessprache zu bedienen, auch wenn Terrarianer und Reisende vielleicht leise seufzen mögen. Schließlich wollen die Namen U. fetsy, U. finaritra, U. finiavana, U. fiera, U. fotsivava und U. kelirambo erst einmal eingeprägt sein.
Viel schwieriger als das Erlernen ebendieser fällt ohne Vorwissen aber sicher die Unterscheidung anhand des Äußeren der Tiere, sofern man nicht exakt weiß, wo sie gesammelt wurden. Die übersichtliche Zusammenfassung dieser neuen Arten respektive ihre Gegenüberstellung in einem populärwissenschaftlichen Werk war einmal nötig, etwa weil diejenigen Tiere, die Terrarianer seit Langem als U. ebenaui kennen, in Wahrheit meist zu einer ganz anderen Art gehören. Womit wieder einmal schön gezeigt wird, dass es eben keine exakte Trennung von Hobby und Wissenschaft geben kann und sich beide Bereiche etwas voneinander abschauen mögen, um den gesamten Wissensstand zu erweitern …
Für mich definitiv das Buch-Highlight dieses Jahres – aufgrund des Themas an sich, der Aufbereitung, der zugrunde liegenden Expertise und nicht zuletzt auch der sprachlichen Qualität. Ich wünsche ihm eine weite Verbreitung unter Haltern, Forschern und allen an Madagaskars biologischer Vielfalt Interessierten. Hoffen wir, dass diese kleinen Meisterwerke der Tarnung noch lange in Natur und Terrarium existieren werden. Die Erfolge in der Haltung und Vermehrung lassen Gutes hoffen, dieses Werk bündelt das Wissen und leistet damit einen bedeutenden Beitrag für die Herpetologie und die Terraristik.
Sebastian Wolf